Jury des MFF entscheidet: Vier Medien erhalten die ersten Förderungen

Je zwei Medien aus der Schweiz und Österreich erhalten jeweils bis zu 400.000 Euro -- Fokus liegt auf neuen Methoden, gemeinwohlorientierte Vertriebskanäle zu vergrößern -- neue Bewerbungen ab März 2025 möglich

Berlin / Wien / Zürich – 6. Dezember 2024: Im Juli ist der Media Forward Fund (MFF) gestartet, um den gemeinwohlorientierten Journalismus und die Demokratie in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu stärken – nun stehen die ersten Förderpartner des ersten Calls aus dem DACH-Raum fest. Vier Medien, davon zwei aus der Schweiz und zwei aus Österreich, wurde von der unabhängigen Jury eine Förderung von jeweils bis zu 400.000 Euro zuerkannt. Die Medien wollen mit vier unterschiedlichen gemeinwohlorientierten Ansätzen neue Wege gehen, ihre Vertriebskanäle zu vergrößern, um mehr Nutzerinnen und Nutzer für ein Abo oder eine Mitgliedschaft zu gewinnen.

Unter den ersten vier Förderpartnern des MFF sind zwei investigative Redaktionen; bei einem Medium liegt der thematische Fokus auf der „underserved community“ von Menschen mit Behinderung:

  • Das Schweizer Investigativmedium Reflekt aus Bern, das seit mehr als fünf Jahren regelmäßig Missstände aufdeckt und damit gesellschaftlichen Impact erzielt, wird mit 300.000 Euro gefördert. REFLEKT möchte seine Vertriebskanäle (Funnel) verbreitern, indem sie gemeinsam mit reichweitenstarken Hosts ihre investigativen Recherchen in Social Videos zugänglich machen. Die so gewonnenen Nutzerinnen und Nutzer sollen dann über ein Crowdfunding zu zahlenden Unterstützern werden.
  • Das österreichische werbefreie Investigativmedium Dossier aus Wien, das seit mehr als zwölf Jahren über Korruption, Ausbeutung und Machtmissbrauch berichtet, wird mit 390.000 Euro gefördert. Dossier möchte seinen Funnel zur Mitgliedschaft vergrößern, indem investigative Recherchen auf die Theaterbühne gebracht werden.
  • Das österreichische Medienhaus andererseits aus Wien, bei dem Menschen mit und ohne Behinderungen seit zwei Jahren in einer inklusiven und Community-basierten Redaktion für ein Print-Magazin, zwei Newsletter und investigative Recherchen schreiben, wird mit 400.000 Euro gefördert. Andererseits möchte seine Vertriebskanäle zum Abo durch einen themenspezifischen Newsletter für die „underserved community“ der Menschen mit Behinderung vergrößern.
  • Mit dem Schweizer Lokalmedium Tsüri aus Zürich, das seit zehn Jahren für eine überwiegend junge Zielgruppe berichtet, geht der MFF eine Kooperation mit einem finanziellen Beitrag von 400.000 Euro ein. Damit soll in Workshops und Prototypen herausgefunden werden, wie ein hyperlokales Nischenthema den Vertriebskanal zur Mitgliedschaft vergrößern kann.

„Aus 136 Bewerbungen unterstützt der Media Forward Fund vier vielversprechende Projekte, die allesamt wertvolle Erkenntnisse bringen werden, wie der gemeinwohlorientierte Journalismus durch zusätzliche Vertriebskanäle tragfähiger finanziert werden kann“, sagt Martin Kotynek, Gründungsgeschäftsführer des Media Forward Fund: „Mit unserem finanziellen Beitrag sowie zusätzlich mit Coaching, Capacity Building und Ausbildung können die vier Medien ihre Geschäftsmodelle zum Wachstum bringen, um so ihre finanzielle und damit ihre inhaltliche Unabhängigkeit zu stärken.“

Die nächste Förderrunde beginnt im März 2025. Die Ausschreibung wird von Info-Sessions und Schulungen begleitet. Bewerber:innen, die von der Jury keine Förderzusage erhalten haben, erhalten auf Wunsch die Möglichkeit eines Feedbackgesprächs. Eine erneute Bewerbung ist möglich.

Projekte & Jurybegründung: Über die Förderpartner:innen

Reflekt

Um zukünftig vermehrt jüngere Zielgruppen mit den Ergebnissen ihrer Recherchen zu erreichen, möchte das Investigativmedium Reflekt mit der Förderung des MFF verstärkt auf die Produktion von investigativem Video-Content für Social Media in Kooperation mit reichweitenstarken Hosts setzen. Mit dem vielbeachteten „Kein Freund und Helfer“-Video hat Reflekt dafür bereits einen erfolgreichen Proof-of-Concept geliefert. Das übergeordnete Ziel des Investigativmediums ist es dabei, seine Community und damit auch seine zahlenden Mitglieder durch eine höhere Reichweite in den sozialen Medien und zusätzlich über ein Crowdfunding mindestens zu verdoppeln.

Die Jury war beeindruckt „von der Kombination aus investigativer Arbeit mit hoher Relevanz und der originellen Übersetzung von Recherchen in Social Videos“. Sie interessierte sich besonders dafür, „wie künftig Host-Strategien effektiv genutzt werden können, um auch ein jüngeres Publikum mit Investigativjournalismus zu erreichen.“

Dossier

Das Investigativmedium Dossier aus Österreich hat als erfolgreiches Proof-of-Concept das Theaterstück „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ in Kooperation mit dem Wiener Volkstheater vorgelegt. Basierend darauf möchte Dossier die Vermittlung seiner investigativjournalistischen Arbeitsweise und einzelner Rechercheergebnisse auf der Theaterbühne im Sinne des Slow Journalism für ein vielfältiges Publikum ausweiten. Mit drei verschiedenen Live-Journalismus-Formaten sollen so zusätzliche zahlende Mitglieder gewonnen und auch weitere Einnahmequellen erschlossen werden.

„Indem Dossier seine journalistische Arbeit auf die Bühne und damit in die analoge Welt zurückbringt, geht es neue Wege, um mit seinem Publikum in direkten Kontakt zu treten und eine tiefere Auseinandersetzung mit den Ergebnissen seiner Recherchen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft anzuregen“, urteilt die Jury: „Bewähren sich die Live-Journalismus-Formate, könnte ein völlig neues journalistisches Genre mit immersivem Charakter für die Branche entstehen und sich als neues, gemeinwohlorientiertes Erlösmodell etablieren“.

Medienhaus andererseits

Um die Perspektive von Menschen mit Behinderungen im Journalismus sichtbarer zu machen, recherchieren und schreiben Menschen mit Behinderungen in der Redaktion des inklusiven und Community-basierten Medienhauses andererseits. Neben einem Printmagazin und zwei Newslettern veröffentlicht Andererseits auch investigative Recherchen in Kooperation mit großen Partnermedien. Mit der Förderung des MFF will Andererseits die Zahl der zahlenden Abonnentinnen und Abonnenten verdreifachen. Dafür sind im Förderzeitraum Relaunches der Newsletter und die Entwicklung zusätzlicher Social-Media-Formate geplant. Mit Nutzendenbefragungen soll eine solide Datenbasis aufgebaut werden, um den allgemeinen Erkenntnisgewinn zur unabhängigen, Community-basierten Finanzierung für barrierefreien und diversen Journalismus voranzutreiben.

Die Jury bewertete vor allem „das eingereichte Vorhabendesign, das von einer hochprofessionellen Arbeitsweise der Organisation und stark ausgeprägten Nutzendenzentrierung zeugt“, besonders positiv: „Im Gegensatz zu vielen anderen Medien ist Andererseits erfolgreich darin, echten und glaubwürdigen inklusiven Journalismus unter qualitätsjournalistischen Ansprüchen zu machen, auch wenn dieser zeit- und damit kostenintensiver ist“, lautet die Begründung der Jury. „Damit erfüllt das Projekt nicht nur eine wichtige Vorreiterfunktion, sondern hat auch das Potenzial, Lösungen für eine inklusivere Weiterentwicklung des journalistischen Sektors zu bieten“.

Tsüri

Das digitale Stadtmagazin Tsüri bedient mit dem „Züri Briefing“, einem täglichen Newsletter mit wichtigen Nachrichten zur Stadt, eine überwiegend junge Zielgruppe in Zürich. In Zukunft wird Tsüri auch regelmäßig mit einem neuen hyperlokalen Newsletter über ein relevantes Nischenthema berichten, konkret über die Wohnkrise in der Stadt. Damit soll die Anzahl der zahlenden Mitglieder aufgrund der hohen lokalen Relevanz des Themas mehr als verdoppelt werden. Der MFF wird Tsüri bei diesem Vorhaben als Kooperationspartner im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsworkshops zum Thema hyperlokaler Journalismus unterstützen. Insbesondere soll auch der Wissenstransfer der Erkenntnisse in die Community des gemeinwohlorientierten Journalismus rund um den Fund im DACH-Raum forciert werden.

„Tsüri steht schon bisher beispiellos für finanziell nachhaltigen und profitablen Lokaljournalismus, der auf einem authentischen und glaubwürdigen Narrativ basiert“, heißt es in der Jury-Begründung. „Sich in Zukunft einem zusätzlichen hyperlokalen Thema zu widmen, um zusätzliche Mitglieder zu gewinnen, ist ein spannendes Experiment, das bisher nur wenige gewagt haben“.

So lief die erste Bewerbungsphase

Die Förderpartner:innen des ersten Calls wurden in einem fünfstufigen Prozess ermittelt: Von 136 Bewerber:innen mit einem Förderbedarf von 40 Millionen Euro waren 52 zu Einzelgesprächen eingeladen worden. Daraus wurden aufgrund der Eignungs- und Vergabekriterien, nach einer Prüfung der Förderfähigkeit und nach zahlreichen Erstgesprächen 26 Kandidat:innen mit einem Förderbedarf von neun Millionen Euro zur Antragstellung zugelassen. Die zehn Finalist:innen – drei aus Deutschland, zwei aus Österreich und fünf aus der Schweiz – präsentierten schließlich Ende November in Berlin ihre Konzepte vor der fünfköpfigen MFF-Jury. Auch ein Expert Council aus 14 Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatte im Vorfeld das Fund Management bei der Prüfung der Anträge für die Jury beraten.

So arbeitet der MFF

Der Media Forward Fund steht für gemeinwohlorientierte Medien und Projekte nach der Ideenphase offen, sobald ein Proof-of-Concept und ein erster Beleg für den Product-/Market-Fit vorhanden sind. Förderfähig sind insbesondere Medien, die Lücken in der lokalen und überregionalen Berichterstattung füllen. Besonderes Augenmerk liegt auf Zielgruppen, die bisher wenig Zugang zu Journalismus haben.

Bei gemeinnützigen Medien mit bis zu 30 Vollzeit-Mitarbeiter:innen im gesamten Unternehmen leistet der Fund Organisationsförderung in der Höhe von in der Regel bis zu 400.000 Euro pro Förderpartner. Gemeinwohlorientierte For-Profit-Medien können Projektförderung beantragen, die je nach Größe des Mediums im Verhältnis 50:50 co-finanziert wird. Zusätzlich zur finanziellen Förderung bietet der Fund organisatorische Begleitung und „Capacity Building“, etwa zu Medienrecht oder zur Geschäftsmodellentwicklung.

Für die Fördermittelvergabe wurden Kriterien in den Bereichen Transformation, Nutzerzentrierung, Vielfalt, Unabhängigkeit und Qualität definiert. Es sollen gemeinwohlorientierte Medien gefördert werden, welche die Medienlandschaft und deren Rolle in der Gesellschaft nachhaltig stärken. Zu den Anforderungen an die Förderberechtigten zählen unter anderem auch die Akzeptanz des Presserats und ein funktionierendes Fehlermanagement. Bestimmte Kriterien bringen Zusatzpunkte, wie beispielsweise die Berichterstattung für „underserved communities“, also etwa für migrantische Gruppen oder für ländliche Regionen.

Mit eigenen Repräsentantinnen in der Romandie und im Osten Deutschlands will der Fund den Besonderheiten dieser Regionen, wie zum Beispiel der Mehrsprachigkeit der Schweizer Medienlandschaft, stärker gerecht werden.

Über die Mitglieder der Jury

Yves Daccord, Schweizer Journalist und Fernsehproduzent, ehemaliger Generaldirektor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, internationaler Stratege im Non-Profit-Bereich, Influencer und Changemaker. Yves Daccord gründete und leitet das Edgelands Institute, das erste Pop-Up-Institut der Harvard University. Der ausgebildete Journalist war bis vor kurzem Vorsitzender des Verwaltungsrats jener Mediengruppe, zu der die führende Lokalzeitung „Le Temps“ in der Romandie und das neu geschaffene lokale Digitalmedium „Heidi.News“ gehören.

  • Maria Exner leitet als Intendantin Publix, das neue Haus für Journalismus & Öffentlichkeit in Berlin, das vor wenigen Wochen eröffnet wurde. Die gebürtige Dresdnerin war zuvor Co-Chefredakteurin des „ZEIT-Magazins“ und Stellvertretende Chefredakteurin von „Zeit Online“, wo sie unter anderem journalistische Dialogformate wie „Deutschland spricht“ entwickelt hat.
  • Lucy Kueng, Professorin und Senior Visiting Research Associate am Reuters Institute for the Study of Journalism an der Oxford University und Verwaltungsratsmitglied der „Neuen Zürcher Zeitung“. Als Expertin für Strategie, Innovation und Führung berät sie führende Medienhäuser bei Strategie und Umsetzung der digitalen Transformation, darunter BBC, CNN, NPR, NRK, SVT und Schibsted.
  • Evelyn Hemmer, Innovationsmanagerin mit langjähriger Erfahrung in der Medienförderung. Derzeit setzt sie als Chief Operating Officer ihre Erfahrungen im Start-Up „Hashtag Media“ ein, das innovativen Digitaljournalismus vorrangig auf Social Media produziert. Zuvor hat die Österreicherin seit deren Gründung die „Wiener Medieninitiative“ der Wirtschaftsagentur der Stadt Wien aufgebaut und dort mehr als 200 Mediengründungen und -projekte begleitet.
  • Eva Schulz, Politikjournalistin mit umfangreicher Erfahrung im Bereich Bewegtbild- und Audiojournalismus, Gründerin des Videoformats „Deutschland3000“. Ihr Podcast „Deutschland3000 – ’ne gute Stunde mit Eva Schulz“ (NDR) ist mit mehr als 15 Millionen Abrufen einer der erfolgreichsten deutschen Interviewpodcasts. Als Reporterin war sie zuletzt in Thüringen, Sachsen und Brandenburg für die neue ZDF-Dokureihe „Deutschland, warum bist du so?“ unterwegs.

Über den Media Forward Fund

Der erste länderübergreifende Fund für Journalismusförderung in Deutschland, Österreich und der Schweiz setzt sich dafür ein, dass es mehr unabhängige Qualitätsmedien mit tragfähigen Geschäftsmodellen gibt, die starke, vertrauenswürdige Inhalte publizieren und sich langfristig nachhaltig finanzieren. Damit soll die Vielfalt im gemeinwohlorientierten Journalismus und damit die Demokratie gestärkt werden.

Der Media Forward Fund wurde auf Initiative der Schöpflin Stiftung, Stiftung Mercator Schweiz, Volkart Stiftung, Rudolf Augstein Stiftung, ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, Allianz Foundation, Stiftung für Medienvielfalt, ERSTE Stiftung, DATUM STIFTUNG für Journalismus und Demokratie, der MacArthur Foundation (USA) sowie des Impact Investors Karma Capital Group, und Publix – Haus für Journalismus & Öffentlichkeit im Juli 2024 als gemeinnütziger Fund gegründet und ist bis dato mit neun Millionen Euro dotiert. Die Entwicklung des Funds wurde von der Beauftragten der deutschen Bundesregierung für Kultur und Medien mit einer Projektförderung unterstützt. Der erste Fördercall startete im Juli 2024. In Zukunft sollen pro Jahr drei Calls umgesetzt werden. Die Förderungen belaufen sich auf in der Regel bis zu 400.000 Euro pro Medium.

Der nächste Call ist für Mitte März mit einer zusätzlichen Förderlinie für Wissenschaftsjournalismus vorgesehen.


Rückfragehinweis für Journalist*innen:

LOEBELL NORDBERG
Annabel Loebell
Tel: +43-676-6904023
E-Mail: al@loebellnordberg.com

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